Juni 2021
Der alte Hund
Ich trug mich schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken, einen weiteren Hund anzuschaffen. Meine Schäferhund-Greyhound-Hündin Gina wurde spürbar langsamer, ruhiger, der frühere Elan war verschwunden. Eine Vorstellung beim Tierarzt erschien mir sinnvoll. Blutbild und Kotuntersuchung waren unauffällig. Die Diagnose war ernüchternd, aber klar: Gina wird alt. Hinzu kamen fibromatöse Epuliden, also nicht metastasierende Tumore im Maul, sowie eine beidseitige Netzhautablösung. Alles unschön, aber letztlich Teil des natürlichen Alterungsprozesses. Auch der beste Hund bleibt davon nicht verschont.
Aus diesem Grund reifte in mir der Wunsch nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin für Gina. Wichtig war mir dabei, dass Gina noch mindestens ein Jahr mit dem neuen Hund verbringen kann. In dieser Zeit sollte sie ihr Wissen weitergeben. Es ist oft zu beobachten, dass sich ein blinder Hund und ein junger Hund gut ergänzen: Der eine bringt Erfahrung und Orientierung, der andere Augen und Dynamik. Eine klassische Win-win-Situation.
Der neuer Hund
Die entscheidende Frage lautete jedoch: Welcher Hund?
Mit Zettel und Bleistift bewaffnet begann ich, die Sache systematisch anzugehen. Mehrere Fragen mussten beantwortet werden: Welche Rasse kommt infrage, welche nicht? Welche Größe, welche Farbe? Welches Geschlecht? Ein Hund aus dem Tierheim oder vom Züchter? Mit diesen Leitfragen arbeitete ich mich durch Bücher, Fachartikel und Websites, sprach mit vielen Menschen und besuchte Tierheime. Mit jedem Monat der Recherche wurde die Liste der möglichen Hunde kürzer.
Am Ende kristallisierten sich klare Kriterien heraus. Die Schulterhöhe sollte mindestens sechzig Zentimeter betragen, das Gewicht etwa fünfundzwanzig Kilogramm oder mehr. Die Farbe war mir gleichgültig. Beim Geschlecht bevorzugte ich eine Hündin. Allein diese Vorgaben schränkten die Auswahl an Rassen und Mischlingen bereits erheblich ein.
Das Tierheim
Die Frage Tierheimhund oder Rassehund vom Züchter war anfangs nicht leicht zu beantworten. Ich habe selbst einen Hund aus dem Tierschutz und stehe dieser Arbeit grundsätzlich positiv gegenüber. Gleichzeitig bin ich kein Freund der routinemäßigen Kastration. Sowohl Rüden als auch Hündinnen bleiben dadurch in ihrer Entwicklung stehen. Ein Teil des „Hund-Werdens“ fehlt. Dass Rüden nach einer Kastration grundsätzlich ruhiger werden, ist ein weit verbreiteter Mythos, und dass eine Hündin zweimal im Jahr läufig wird, weiß man, bevor man sich einen Hund anschafft.
Trotzdem besuchte ich mehrere Tierheime. Die dort formulierten Auflagen und Bedingungen führten mich jedoch Schritt für Schritt weg vom Tierheim und hin zum Züchter. Drei Spaziergänge mit dem Hund in Tierheimnähe, dreimal mit nach Hause nehmen und am selben Tag zurückbringen, fünf Wochenenden zur Probe, anschließend entscheidet das Tierheim, ob man den Hund überhaupt bekommt. Für mich war klar: Nein. So möchte ich keinen Hund übernehmen.
Der Züchter
Ich entschied mich bewusst für einen reinrassigen Hund vom Züchter. Ein letztes Mal einen Welpen großziehen, mit all den schönen Entwicklungen und auch mit den unvermeidlichen kaputten Schuhen. Zu diesem Zeitpunkt standen nur noch zwei Rassen auf meinem Zettel: der Flat Coated Retriever und der Schottische Deerhound.
Zunächst kümmerte ich mich um den Flat Coated Retriever. Mehrere Telefonate mit Züchtern führten stets zur gleichen Aussage: Der Züchter wählt den Hund aus, nicht ich. Ich habe kein Einfluss auf Geschlecht, Farbe oder ein bestimmtes Tier aus dem Wurf. Dafür ein Preis von rund 1800 Euro. Für mich ein schlechtes Geschäft. Enttäuscht rief ich schließlich beim Deerhound-Zwinger „von der Ölmühle“ an. Ohne Umschweife wurde ich eingeladen.
Der Züchter, Jürgen, hatte gerade einen Wurf Welpen. Fünf Tiere waren noch da, darunter auch Hündinnen. Vor Ort stand ich jedoch nicht zuerst bei den Welpen, sondern mitten im Zwinger zwischen den erwachsenen Deerhounds und den Zuchthündinnen. Freundlich, ruhig, souverän. Im Internet hatte ich gelesen, dass es dort auch einen älteren, abgegebenen Hund geben sollte. Ich fragte ob ich ihn auch mal sehen könne. Jürgen sah mich an und sagte: „Den hast du die ganze Zeit im Arm.“ In diesem Moment wurde mir klar, dass meine Suche im Grunde beendet war.
Nach kurzer Überlegung und Rücksprache mit meiner Frau entschieden wir uns gegen einen Welpen und für Bacchante Lord Cameron.
Der Ergebnis
Damit hatte ich einen neuen Hund. Das Gefühl war gut, die Entscheidung stimmig. Es handelte sich um einen Hund im Alter von zwei Jahren und sechs Monaten, der bereits bei Menschen gelebt hatte. Er kannte den Alltag, kannte Strukturen und Abläufe. Vieles war ihm vertraut. Genau das machte den Einstieg einfacher und ruhiger, sowohl für ihn als auch für mich.
